Sonntag, 28. August 2022

Rückblick nach halber Strecke

Die Statistik von Teil 2, realistisch das zweite von vier Vierteln. Die Erkenntnis der letzten beiden Tage ist, dass ich die bergigen Etappen kürzer planen muss. Nach der Ankunft in Chemnitz war der Akku leer, ich hätte keinen weiteren solchen Tag fahren können.

 

Was bleibt nun als Erkenntnis aus dieser Tour durch ostdeutsches, für mich neues Land?

Zunächst aus Radfahrersicht die Erfahrung, dass es kein anderes Bundesland gibt, das so wenig Radwege hat wie Sachsen. Passend dazu fällt auf, dass ziemlich teure Autos vor ziemlich armen  Häusern stehen. Dennoch gehen die meisten mit ihren PS sorgsam um, als Radfahrer wird man fast ausschließlich vorsichtig und rücksichtsvoll überholt.

Wahlplakate in Brandenburg rufen einem zu: "Damit Cottbus Heimat bleibt." Gegen dieses Ziel ist wenig einzuwenden. Besser wäre allerdings: "... und Heimat werden kann." Nämlich für diejenigen, die sich hier neu niederlassen. Preisfrage: Von welcher Partei ist ein solches Plakat? Und welche Maßnahmen verstecken sich hinter dieser auf den ersten Blick sympathischen Zielsetzung? Auf unserer Tour passieren wir Orte wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Freital und Chemnitz.

Wenn von deutschen Greueltaten in den 30er und 40er Jahren die Rede ist, spricht man meist von "Nazideutschland". Ich habe mich immer gefragt, wo denn dieses Nazideutschland liegen mag. Innerhalb unserer heutigen Grenzen wohl nicht, ein fremdes Land irgendwo. Oder liegt es hier in diesem Osten? Das passt auch nicht ganz, denn Hoyerswerda gibt es auch in Solingen oder Hanau. Und Stasi-Gesinnung wäre im Westen genauso fruchtbar, sie muss nur belohnt werden.

Zwischen Pirna und Chemnitz sehen wir ein großes Banner am Giebel eines Privatwohnhauses. "Mein Körper, meine Entscheidung. Selbstbestimmung statt Willkürstaat." In diesem Moment erinnere ich mich daran, dass ich damals lieber eine Vereinigung mit Holland als mit der DDR gehabt hätte. Es gibt gute Argumente für und gegen eine Impfpflicht. Unsere Regierungen in Bund und Land tun sich weiß Gott schwer damit. Von Willkürstaat zu sprechen, mutet da wie reine Polemik an, die sich größtmögliche Konfrontation zum Ziel setzt, zu welchem Zweck auch immer. 

Eine andere, etwas enttäuschende aber zwangsläufige Erkenntnis ist, dass man auf einer solch ambitionierten Radtour wenig Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erhält. Man fährt halt hauptsächlich Rad. Der Kontakt beschränkt sich eher auf Bäckereifachverkäuferinnen und Restaurantkellner. Freundlichkeit und Robustheit halten sich die Waage, das ist kaum anders als in Berlin oder Dortmund, also eher deutsch im Ganzen. Menschen im Ruhrgebiet werden oft beschönigend als "geradeheraus" geschildert, Pommern, Brandenburger und Sachsen würde ich in diesem Sinne als "auf die eigenen Interessen konzentriert" bezeichnen.

Die Altstädte an Oder und Neiße mögen ja weitgehend schön restauriert sein, einladend, sich dort niederzulassen wirken sie deshalb nicht. Nicht, dass Witten schöner wäre, bei weitem nicht, aber Heimat ist eben Heimat (siehe oben). Und das liegt weniger an restaurierten Fassaden als an den Menschen. Die dürfen eben nicht woanders herkommen, ist das die selbst entlarvende Erkenntnis? Nein, bei uns im Ruhrgebiet wird ungefähr so viel polnisch und türkisch gesprochen wie deutsch, und das ist schön so. Das ist Heimat, meine Heimat.

Nebenfrage: Wieso heißt es eigentlich Mitteldeutscher Rundfunk? Wenn das Mitteldeutschland ist, wo dieser Rundfunk sendet, wo ist dann Ostdeutschland? Muss ich da noch weiter fahren mit dem Rad?

Samstag, 27. August 2022

Tag 22: Wasserschlacht und sonstige Erlebnisse

 

Der Wetterbericht verspricht uns für diese Etappe einen denkwürdigen Tag. So kommt es auch. Heute ist alles dabei. Es regnet von Start bis Ziel, manchmal weniger, meistens mehr, oft viel mehr. Geht es bergab, schmerzen die dicken Wassertropfen im Gesicht und die Straße ist nur noch schemenhaft zu erahnen. Wir kämpfen uns in 10km-Abschnitten voran. Die Radhose ist schwer vom Wasser und schwappt am Oberschenkel. Die Socken fühlen sich an wie vollgesaugte Waschlappen am Fuß.

Die Steigungen summieren sich, sie sind gar nicht so steil, aber die Nässe zieht die Kraft aus den Muskeln. Erstmals muss ich kurze Abschnitte schieben. Auf der B173 rauscht der Verkehr mit Tempo 100 und mehr an uns vorbei. Weiterhin sind die meisten Fahrer rücksichtsvoll, doch heute gibt es einige negative Ausnahmen. Sachsen bleibt eine radwegfreie Zone. Von knapp 100 km stehen uns heute vielleicht 6 oder 7 km Radweg zur Verfügung. Gut, dass es Samstag ist und kaum Lkws unterwegs.

Es gäbe mehrere Optionen, unterwegs in den Zug einzusteigen. Das verschmähen wir, so nass wie wir sind, würden wir dann nur noch mehr frieren. Am Ende zählen wir die Kilometer einzeln herunter, bis wir endlich Chemnitz erreichen. Auch das Finale ist erinnerungswürdig. 1 Km vor dem Ziel ist Claudias Hinterrad platt, wir schieben den Rest bis zum Hotel. Auf dem glatten, nassen Bürgersteig rutscht Claudia aus. Ihre erste Reaktion gilt dem Schutz des Fahrrads, erfolgreich hält sie es in die Luft. Wir schieben unsere Räder über den roten Teppich des Chemnitzer Hof, dann gleite auch ich auf dem glatten Steinfußboden im Eingang zu Boden. Was für ein Finale! 

Nach einem feierlich guten, aber sehr müden Abendessen ist die Hotelbar bereits um 22 Uhr geschlossen. Der Portier erklärt asiatischen Gästen auf sächsisch, welches Bier er noch im Kühlschrank hat. Die nehmen schließlich, was sie kriegen können, ohne irgendetwas zu verstehen, wir dagegen wollen nur noch ins Bett.

So geht der 2. Teil unserer Deutschen Grenzerfahrung zu Ende. Die Hälfte ist geschafft, Fortsetzung im nächsten Jahr, so die Seniorenkörper es dann noch mitmachen.

Das einzige Bild des Tages: Start im Regen. Wollen wir das wirklich?


Freitag, 26. August 2022

Tag 21: Radwegfreie Zone Sächsische Schweiz

 

Mit nur 60 km soll dieser Tag ein halber Ruhetag werden. Für den frühen Nachmittag sind Gewitter angesagt, wir wollen deshalb früh los. Die Überraschung kommt nach dem Frühstück. Mein hinterer Reifen ist platt. Panne Nummer drei. Schlauchwechsel mit tropfendem Schweiß, vergebliche Suche nach einem Fahrradladen, dann ist es doch wie immer 10:15 Uhr, bis wir wegkommen.

Wir haben für die Kurzstrecke nur je eine Trinkflasche gefüllt. Bei schwüler Hitze und nach mehreren steilen Rampen brauchen wir bald dringend Nachschub. Auf unserer Nebenstrecke ist das Fehlanzeige. In Dörfern wie Drauschkowitz, Brösang, Gaußig, Naundorf, Tröbigau und Schmölln gibt es nicht einmal ein Lebensmittelgeschäft. Die Rettung ist der Jägerhof in Putzkau. Hier ist Spanische Woche, alles ist in spanischen Farben dekoriert. Der Wirt fragt etwas: "Wollese esse owas?" Ich brauche eine Sekunde, um ihn zu verstehen. Nein, wir wollen nur alkoholfreies Weizenbier. Er wirkt etwas enttäuscht. Der Bierkurs liegt hier bei € 4,20.

In Stolpen ereilt uns der angekündigte Wolkenbruch. Wir flüchten in einen Getränkehandel und kaufen als Eintrittsgeld eine Tafel Schokolade, die wir direkt vertilgen. Als wir uns wieder auf den Weg machen, sind 200 m weiter die Straßen trocken. Etwas schneller gefahren, und wir wären dem Schauer entkommen. Auf den letzten Metern in Pirna rastet ein Lkw-Fahrer aus, weil  vor ihm der Pkw uns nicht schnell genug überholt. Das ist der erste Zwischenfall dieser Art nach fast 1000 km. Bisher haben wir ausschließlich gute Erfahrungen mit sehr rücksichtsvollen Autofahrern gemacht. Das ist besonders angenehm, weil die Sächsische Schweiz offenbar eine radwegfreie Zone ist. Für uns eine Umstellung nach den perfekten Fahrradstraßen in Brandenburg.

Die Bilder des Tages: 

Blaues Wunder am Morgen: Mehr Zeit in Bautzen als geplant


Endgültig: Letzter Blick auf Bautzen und die Spree


Abendstimmung: Die Elbe in Pirna


Nostalgie: Trotz der Brücke nebenan verkehrt die Elbfähre in Pirna


Traditionsgeschäft: Historische Ersatzteile in der Fahrradklinik


Betonkübeldekorierter Marktplatz in Pirna: Weizenbierkurs € 5,00


Donnerstag, 25. August 2022

Tag 20: Auf Asphalt durch den Wald zu den Sorben

Ursprünglich war diese Etappe bis Zittau geplant, um auch in diesen Zipfel Deutschlands zu kommen. Inzwischen schwant uns aber, dass diese 140 km etwas zu herausfordernd werden könnten, und wir kürzen die heutige Tour auf unter 100 km bis Bautzen. Hier sind wir schon in der Hauptstadt des Sorbenlands und damit auch in einem Deutschland, das uns ganz neu ist.

Cottbus verlassen wir auf schönen Parkwegen entlang der Spree, etwas holprig auf Schotter und so nicht besonders zügig. Garmin zeigt ernüchternde 16 km/h für die ersten 10 km. Bald aber werden wir entschädigt durch wieder perfekte Fahrradstraßen. Kilometerlange Asphaltbänder ziehen sich bis Stremberg autofrei für uns durch die Wälder. Welch ein Luxus, Naturgenuss mit fast 30 km/h. 

In Stremberg verblüfft uns das Café Zille mit einer Speisekarte, die Gerichte von 9 bis 11 Uhr anbietet, eine andere Auswahl dann von 13-16 Uhr, und Kuchen gibt es ab 15 Uhr. Der Fehler ist allerdings, jetzt ist es 12 Uhr. Irgendwas bekommen wir dann doch, und es schmeckt auch. 

Schwülwarme Gewitterluft macht uns heute das Treten schwer. Der Neschwitzer Schlosspark lädt zu einer Parkbankpause. Das tut erstmal gut, hilft aber für die letzten Kilometer nicht wirklich, denn zum Schluss stehen einige spürbare Rampen an. Eine E-Bikerin können wir noch abhängen, aber der finale Anstieg in die Altstadt von Bautzen stellt mit Kopfsteinpflaster härtester Güte die partnerschaftliche Harmonie noch auf eine Probe. Gut, dass der erste Italiener mit dem Essen und der zweite Italiener mit dem Grappa den milden Augustabend retten.

Die Bilder des Tages:

Grüner Start: Cottbus liegt schön an der Spree


Wo geht's lang? Orientierungsstopp über der Spree



Laut Lokalpresse eine Institution: Rudis Café rettet nicht nur die Rechtschreibung (kein Apostroph!), sondern stellt mit € 3,20 den positiven Weizenbierpreisrekord der ganzen Tour auf!


Luft holen im Schlosspark: Pause in Neschwitz



Barock im Park: Schloss Neschwitz

Hauptstadt der Sorben: Alter Markt in Bautzen (Weizenbierpreis €4,50)


Mittwoch, 24. August 2022

Tag 19: Über Deiche und Fahrradstraßen

 

Nach einem Fehlstart, derselbe Reifen ist am Morgen wieder platt, wird dieser Tag unerwartet zu einem routenmäßigen Highlight der ganzen Tour. Von Frankfurt nach Guben befahren wir die Hochwasserdeiche an der Oder und der Neiße. Der Blick geht in die Landschaft, der Asphalt ist perfekt, kaum ein Mensch außer uns unterwegs.

In Ratzdorf verabschieden wir uns von der Oder, hier gibt es sogar das stets kräftigende Weizenbier. In Guben bezaubert der Blick von der Brücke auf eine Schwanenfamilie in der Neiße. Bis Cottbus bleibt es dann 40 km so gut wie autofrei auf perfekten und endlosen Fahrradstraßen durch den Wald. Schöner kann Radfahren nicht sein. Wir überqueren die Bärenbrücker Höhe, die zum kinderfreundlichen Abenteuerpark ausgebaut ist. Dann rauschen wir hinunter ins Spreewaldhotel, wo zahlreiche betagte Radfahrergruppen die schöne Terrasse bevölkern. Die Fahrradgaragen sind hier bedarfsgerecht konstruiert wie Pferdegatter, unsere Drahtesel bekommen eine eigene Box.

Die Bilder des Tages:

Ratzdorf: Letzter Blick auf die Oder


Kleiner und noch schöner: An der Neiße



Guben: Brückenblick zwischen Deutschland und Polen



Radler-Genuss: Perfekte Fahrradautobahn durch den Wald



Slawische Götter auf der Bärenbrücker Höhe: Göttin des Lebens



Futuristisch: Aussichtsturm Bärenbrücker Höhe



Dienstag, 23. August 2022

Tag 18: Über die Oder nach Polen und zurück

 
Eine spürbare Erholung hat sich durch den gestrigen halben Ruhetag nicht eingestellt. Vielleicht sind wir auch einfach zu schnell gefahren. Ein Schnitt von 23,4 km/h mit dem Gepäckanhänger bedeutet schon eine sportliche Belastung. Entsprechend skeptisch gehe ich heute auf die Tour, es stehen wieder 110 km an, und es geht rund 40 km durch Polen mit der Unsicherheit, wie der Straßenbelag aussehen wird.

Am Grenzübergang ist viel Lkw-Verkehr, doch kurz darauf biegen wir ab auf eine kleine holprige Nebenstraße. Doch bald ist die Straße perfekt, das 3. Nachbarland dieser Tour gönnt uns besten Asphalt, gekrönt mit permanentem Rückenwind. Zur Feier des Tages habe ich die Fahnengalerie am Heck um die polnische Flagge erweitert. Viel Wald, viel Grün, viel Landwirtschaft, die Dörfer wirken arm, nur an den Grenzübergängen ballen sich die Zigaretten- und sonstige Shops. Dass sich hier die erste Reifenpanne einstellt, liegt jedenfalls nicht am Straßenbelag.

Nach der Oder-Überquerung auf der brandneuen Europabrücke für Radfahrer machen wir den Fehler, an der einzigen Einkehrmöglichkeit vorbeizufahren. Es sollte für lange Zeit die einzige bleiben. Endlich in Letschin angekommen, ist der Dienstag offensichtlich der Dorfruhetag. Nur der Bäcker hat geöffnet, bietet Pflaumenkuchen und den Anblick einer Vitrine voller Pokale. "Die hat mein Papa alle beim Angeln gewonnen," verkündet stolz die Verkäuferin, "das ist erstmal vorbei, es gibt keine Fische mehr." Der gesamte Fischbestand der Oder ist in den letzten Wochen gründlich vergiftet worden, die Ursache ist immer noch nicht ganz klar.

Die Bilder des Tages:


Schilderwald am Grenzübergang: Von Schwedt nach Krajnik Dolny



Keine Überraschung im katholischen Polen: Der Glaube ist überall



Der Adler ist das Wappentier Polens: Hier erinnert er an historische Schlachten bei Cedinya



Sehr gelungen: Die neue Europa-Radbrücke über die Oder bei Siekierki



Die Idylle trügt: Die Fische sind tot.



Radfahrer absteigen: Das tun wir schon aus Protest nicht.



Montag, 22. August 2022

Tag 17: Mit dem 9-Euro-Ticket die Strecke entschärft


Nach gut 500 km in 4,5 Tagen sind die Signale des Körpers nicht überhörbar. Erschöpfung! Dazu sieht der Wetterbericht nicht gut aus. Die Lösung bietet die Deutsche Bahn. Die geplante Königsetappe wird gekürzt durch eine Zugfahrt von Pasewalk nach Angermünde.

Ueckermünde liegt noch am Weg, wir passieren die historische Klappbrücke, dann ist es aber mit Ostseetourismus endgültig vorbei. Ansonsten durchqueren wir Orte, in denen die blühenden Landschaften noch immer nicht ganz angekommen sind. Leopoldshagen, Mönkebude, Eggesin, Viereck. Zwischen zahlreichen grauen geduckten Häusern stechen manchmal grelle Farben hervor. Da wurden wohl Entzugserscheinungen kompensiert. Der Bahnhof von Pasewalk versetzt uns um Jahrzehnte zurück. Der Regionalzug der DB ist Gegenwart, Stehplatz in dicker Luft, die Fahrräder irgendwie in den Eingang gequetscht.

Darauf ein Bier in Angermünde. Das Weizen kostet jetzt nur noch € 3,90. Ahrenshoop war eine andere Welt, besonders preislich. Nun noch 20 km Endspurt Richtung Schwedt, Kopf einziehen und treten. Viel Verkehr und rücksichtsvolle Autofahrer, sogar die Lkws machen einen großen Bogen um uns. Danke.

Die Bilder des Tages:

Ehemalige Ernst-Thälmann-Siedlung in Viereck. Ein ganzer Stadtteil ist Ruine.


Kunst am Radweg Berlin-Usedom.


Bahnhof in Pasewalk: Hat lebhaftere Zeiten gesehen.


Bahnsteig: In England würde man das viktorianisch nennen.


Spaziergang in Schwedt: Ist das Kunst oder kann man dahin?


Näher gekommen: Zu schön, um wahr zu sein.



Die Auflösung: Auch Häuser haben zwei Seiten.



Illuminiert: Die Oder-Promenade


Abendstimmung: Hier geht's morgen nach Polen.



Sonntag, 21. August 2022

Tag 16: Festgefahren im Wald vor Anklam


Laut Plan hätte das fast ein halber Ruhetag werden können. 95 km von Stralsund nach Anklam, davon gehen ungefähr 7 km Fähre ab, das ist unser kürzester Tag bisher.

Wir starten spät, weil die Fähre nach Altefähr auf Rügen nur alle 2 Stunden verkehrt. Zwischendurch  steht für den Kapitän die Hafenrundfahrt an, da ist das Boot voll und da wird Geld verdient. Um 11:15 Uhr ist dann Fährzeit, es sind nur wenige Fahrgäste an Bord. Der freundliche Skipper hilft uns beim Be- und Entladen der Räder. 

Rügen empfängt uns zunächst mit Kopfsteinpflaster der gröbsten Art, später aber sind die Radwege perfekt. Wir sehen im Süden nur den weniger touristischen Teil der Insel, viel Landwirtschaft, ruhige Dörfer, bis wir in Glewitz dann schon wieder die Fähre zurück auf's Festland nehmen Der Fährmann schockt uns mit seinem Standardwitz: "Habt Ihr Fahrscheine gekauft? 60 Euro Strafgebühr!" Natürlich gibt es die Tickets auf dem Boot, aber er hat immer wieder seinen Spaß.

Greifswald ist als Mittagstisch geplant, empfängt uns aber mit riesiger Baustelle rund um den Hafen. Die Bistro-Boote sehen einladend aus, wir bekommen aber nur übelste Tiefkühlkost. Es fragt auch keiner, ob es geschmeckt hat. Wir vergeben schweigend ein klares Mangelhaft. Nur wenige Kilometer weiter wäre ein idyllischer Pausenplatz an der historischen Brücke in Wieck gewesen, hätten wir es nur vorher gewusst.

Schließlich geht auch der Ruhetagsplan gründlich daneben. Schon rechnen wir uns als Ankunftszeit in Anklam 17:30 h aus, da endet die Kreisstraße in Buddenhagen als steiniger Pfad im Wald. Endstation. Ein freundlicher Ortskundiger warnt uns rechtzeitig, dass dieser Weg noch 5 km so weiter geht und es auch dann nicht viel besser wird. Wir müssen umkehren und kurz vor dem vermeintlichen Finale zusätzliche 20 km machen. Das zehrt an der Moral. Zum Glück hilft der Rückenwind und schiebt uns mit 27 km/h nach Anklam, wo wir zu müde für das Hansefest sind, aber doch im Hotel Anklamer Hof bestens versorgt werden.

Die Bilder des Tages: 

Liegt als Museumsschiff im Heimathafen Stralsund: Die Gorch Fock I 


Abschied vom schönen Stralsund: Überfahrt nach Altefähr.


Ohne Baustellen bald sicher noch schöner, aber nicht unbedingt leckerer:
Fressboote am Greifswalder Ryck



Idylle am Fluss: Historische Klappbrücke in Wieck



Vermeintlich fast am Ziel: Letzte Pause vor dem großen Umweg



Samstag, 20. August 2022

Tag 15: Übern Deich auf den Darß und nach Stralsund


Die Rostocker Altstadt wäre bestimmt einen Besuch wert, doch unser sportlicher Zeitplan lässt dafür keinen Raum. Wir nehmen direkt die Hafenfähre, auf uns wartet der bisherige landschaftliche Höhepunkt der Tour. Der kürzeste Weg nach Stralsund steht nicht zur Debatte, denn den Darß darf man nicht auslassen. Wir nehmen die Villenparade in Wustrow ab, vom Deichradweg schauen wir auf die Reetdächer und in die Gärten. 
Die Radwege werden immer besser, es geht gut voran, am Hafen in Ahrenshoop isst Claudia den besten Fisch ihres Lebens, nebenan hat der Wirt gute Chancen auf den deutschen Preisrekord für alkoholfreies Weizen, € 5,70, und das bei Selbstbedienung. Es ist aber auch ungewöhnlich schön hier. Die Idylle wird nur durch ein Reinhard-Mey-Double getrübt, das im Ton doch sehr individuell daneben liegt. Immerhin erkennt man am Text die Lieder wieder.

Im Überschwang verzichten wir auf die Fähre in Born und fahren noch die Umweg-Schleife über Zingst. Erstmals hupt hier einer, weil wir den Radweg verschmähen, dabei sind wir mit über 30 km/h kein großes Verkehrshindernis. Bestimmt ist es hier an der Darßer Nordseite traumhaft schön, uns bleibt heute nur die Begegnung mit den samstäglichen Menschenmassen in Zingst. 

Der Rest ist Endspurt mit helfendem Rückenwind bis nach Stralsund, das uns mit seinem Abendlicht bezaubert. Die Beine sind schwer, die Erschöpfung lässt kein üppiges Abendessen zu. Doch morgen ist ja ein halber Ruhetag, nur 90km. 

Die Bilder des Tages:

Start in Rostock mit der Hafenfähre. Es gilt das schon jetzt historische 9-Euro-Ticket.


Graal-Müritz: Im Vorbeifahren kurzer Blick aufs Meer.


Ahrenshoop: Idylle am Hafen



Nördlichster Punkt unserer Ostseetour: Seebrücke in Zingst


Hasenstraße: So nennt Claudia die Wege, wo es so schön hoppelt.


Benin in Barth: Afrikanisches Cafe mit großartiger Zitronentorte



Pause auf der Mitfahrbank: Das schaffen wir noch allein.


Stralsund: Müsste sich eigentlich mit "h" schreiben.


Freitag, 19. August 2022

Tag 14: Nass und nix gesehen

"Die Natur hat's dringend nötig." Das hören wir heute des öfteren, und es stimmt ja auch. Tragen wir also unseren Beitrag dazu bei, indem wir es hinnehmen. Es regnet ununterbrochen von Start bis Ziel, mal mehr, mal weniger, aber es reicht allemal, um am Ende auszusehen wie ein Schwein, das sich im Dreck gesuhlt hat.So bleibt wenig Muße, sich unterwegs etwas umzuschauen. Wir kreuzen den großartigen Marktplatz von Wismar, aber die Kombination von Kopfsteinpflaster und Nässe lässt Claudia nur kurz ansagen: "Weiter!"

Die Insel Poel bleibt unter tiefhängenden Wolken unsichtbar, in Kühlungsborn essen wir gut, sehen aber so wenig, dass man nicht weiß, wo das Meer aufhört und der Himmel anfängt. Der Küstenradweg ist dann für 23mm-Rennradreifen unpassierbar, also sammeln wir noch einige Umleitungskilometer, bis wir Warnemünde erreichen und über endlos lange holprige Radschleichwege uns durch Rostock-Lichtenhagen kämpfen. Noch nie habe ich so große Wohnhäuser gesehen.

Dass wir dennoch heute im Schnitt über 20km/h schnell sind, ist für uns erstaunlich. 

Unser Quartier in Rostock liegt im Hinterhof einer Spielhölle, eigentlich ganz passend zu Vorurteilen über Rostock. Freundlich werden wir empfangen und dürfen mit dem Gartenschlauch unsere Räder vom Dreck befreien. Und auch das Abendessen ist wieder richtig gut. Beim Vergleich von Nord- und Ostsee wird der Eindruck immer klarer: An der Nordsee ist das Meer schöner, an der Ostsee die Landschaft und das Essen.

Die Bilder des Tages:

Auf den zweiten Blick: Doch kein Obi-Sperrholz, sondern 50er-Jahre Designermöbel.


Mit dem Übernachtungspreis bezahlt man hier den Gärtner, nicht die Inneneinrichtung.


Fünfstündige Dusche: Das Wasser von oben ist sauber, aber von unten kommt genauso viel.



Regen-Ruhetag in Kühlungsborn: Die Natur hat's nötig und das Touri-Personal wohl auch.


Eingesaut: Die nächste Tour nur noch mit Schutzblechen!