Sonntag, 28. August 2022

Rückblick nach halber Strecke

Die Statistik von Teil 2, realistisch das zweite von vier Vierteln. Die Erkenntnis der letzten beiden Tage ist, dass ich die bergigen Etappen kürzer planen muss. Nach der Ankunft in Chemnitz war der Akku leer, ich hätte keinen weiteren solchen Tag fahren können.

 

Was bleibt nun als Erkenntnis aus dieser Tour durch ostdeutsches, für mich neues Land?

Zunächst aus Radfahrersicht die Erfahrung, dass es kein anderes Bundesland gibt, das so wenig Radwege hat wie Sachsen. Passend dazu fällt auf, dass ziemlich teure Autos vor ziemlich armen  Häusern stehen. Dennoch gehen die meisten mit ihren PS sorgsam um, als Radfahrer wird man fast ausschließlich vorsichtig und rücksichtsvoll überholt.

Wahlplakate in Brandenburg rufen einem zu: "Damit Cottbus Heimat bleibt." Gegen dieses Ziel ist wenig einzuwenden. Besser wäre allerdings: "... und Heimat werden kann." Nämlich für diejenigen, die sich hier neu niederlassen. Preisfrage: Von welcher Partei ist ein solches Plakat? Und welche Maßnahmen verstecken sich hinter dieser auf den ersten Blick sympathischen Zielsetzung? Auf unserer Tour passieren wir Orte wie Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Freital und Chemnitz.

Wenn von deutschen Greueltaten in den 30er und 40er Jahren die Rede ist, spricht man meist von "Nazideutschland". Ich habe mich immer gefragt, wo denn dieses Nazideutschland liegen mag. Innerhalb unserer heutigen Grenzen wohl nicht, ein fremdes Land irgendwo. Oder liegt es hier in diesem Osten? Das passt auch nicht ganz, denn Hoyerswerda gibt es auch in Solingen oder Hanau. Und Stasi-Gesinnung wäre im Westen genauso fruchtbar, sie muss nur belohnt werden.

Zwischen Pirna und Chemnitz sehen wir ein großes Banner am Giebel eines Privatwohnhauses. "Mein Körper, meine Entscheidung. Selbstbestimmung statt Willkürstaat." In diesem Moment erinnere ich mich daran, dass ich damals lieber eine Vereinigung mit Holland als mit der DDR gehabt hätte. Es gibt gute Argumente für und gegen eine Impfpflicht. Unsere Regierungen in Bund und Land tun sich weiß Gott schwer damit. Von Willkürstaat zu sprechen, mutet da wie reine Polemik an, die sich größtmögliche Konfrontation zum Ziel setzt, zu welchem Zweck auch immer. 

Eine andere, etwas enttäuschende aber zwangsläufige Erkenntnis ist, dass man auf einer solch ambitionierten Radtour wenig Kontakt zur einheimischen Bevölkerung erhält. Man fährt halt hauptsächlich Rad. Der Kontakt beschränkt sich eher auf Bäckereifachverkäuferinnen und Restaurantkellner. Freundlichkeit und Robustheit halten sich die Waage, das ist kaum anders als in Berlin oder Dortmund, also eher deutsch im Ganzen. Menschen im Ruhrgebiet werden oft beschönigend als "geradeheraus" geschildert, Pommern, Brandenburger und Sachsen würde ich in diesem Sinne als "auf die eigenen Interessen konzentriert" bezeichnen.

Die Altstädte an Oder und Neiße mögen ja weitgehend schön restauriert sein, einladend, sich dort niederzulassen wirken sie deshalb nicht. Nicht, dass Witten schöner wäre, bei weitem nicht, aber Heimat ist eben Heimat (siehe oben). Und das liegt weniger an restaurierten Fassaden als an den Menschen. Die dürfen eben nicht woanders herkommen, ist das die selbst entlarvende Erkenntnis? Nein, bei uns im Ruhrgebiet wird ungefähr so viel polnisch und türkisch gesprochen wie deutsch, und das ist schön so. Das ist Heimat, meine Heimat.

Nebenfrage: Wieso heißt es eigentlich Mitteldeutscher Rundfunk? Wenn das Mitteldeutschland ist, wo dieser Rundfunk sendet, wo ist dann Ostdeutschland? Muss ich da noch weiter fahren mit dem Rad?